Es gibt so Sätze, die inspirieren einen. Sie regen die Phantasie an, da sie über das Offensichtliche hinausreichen. So ein Satz ist dieser: „Einfach mal den Stecker ziehen“.
Ganz praktisch gesehen…
Im Alltag geschieht das sehr oft und vielfach unbewusst. Da wird das Handy aufgeladen und spätestens bei 100% der Stecker gezogen. Staubsauger, Kaffeemaschine, Laptop, Lampen – es gibt auch in Zeiten von Akku und Powerbanks genügend Geräte, die noch klassisch an der Steckdose hängen und immer wieder an- oder abgeschaltet werden, eben durch das Ziehen des Steckers.
„Einfach mal den Stecker ziehen“ trennt die Verbindung. Der Stromfluss wird unterbrochen und das Gerät stellt seinen Dienst ein. So weit so normal und im Grunde auch keine große Sache.
Wenn man den Gedanken weiterspinnt: Mit wie viel „Strom“ versorge ich mich am Tag. Ein paar Beispiele:
Mit Musik geht alles besser. Und wenn sie mal aus ist, kann ich die Stille ertragen und wie still ist es wirklich? Gibt es neue Töne, die bisher im Rausch der Töne untergegangen sind?
Muss ich wirklich umfassend über alle Themen dieser Welt informiert sein? Ginge auch mal ein Tag ohne Nachrichten?
Es ist das Wesen unserer Zeit, in Sekunden über Ereignisse vom Ende der Welt informiert zu werden. Das Internet hat diesen Information-Overflow noch einmal um ein Vielfaches beschleunigt. Aber führen mehr Informationen zu besseren Entscheidungen oder machen sie mich nicht eher zu einem Getriebenen, immer in Erwartung und auf der Suche nach der nächste Nachricht. Zeit zum Verarbeiten und Bewerten bleibt nicht.
Die Videos auf TikTok, die Reels auf Facebook und Instagram und all die anderen kurzen Videos auf den Social Media Kanälen sind ja maximal nur 60 oder 90 sec. lang. Aber wie schnell ist eine Stunde verdaddelt. Und sie buhlen mit Emotionen, reißerischer Aufmachung, Zuspitzung um unsere/meine Aufmerksamkeit. Und wenn etwas gefällt, liefern die Plattformen immer mehr, damit man bleibt. Auch mal den Stecker ziehen?
Nur ein voller Terminkalender ist ein guter Terminplaner. Weist er einen doch als wichtige, viel beschäftigte Person aus und vermittelt dem Gegenüber, dass er oder sie es schon richtig wertschätzen soll, wenn da noch eine Lücke im Kalender gefunden wurde. Aber was davon bleibt in der Tageserinnerung hängen als relevant und wichtig?
Einmal angefangen, lässt sich die Liste bestimmt erweitern oder auch detaillierter betrachten bei einzelnen Punkten. Was passiert, wenn man hier einfach den Stecker zieht, die Verbindung unterbricht?
Unterbrechungen planen
Ich denke, dass wir mittlerweile ganz bewusst Unterbrechungen im Leben planen und setzen müssen. Alles andere führt nur dazu, im Strom der Getriebenen, Gejagten und Gehetzten mitzuschwimmen und jede Kurve der Aufregung und Steigerung mitzumachen.
Wir brauchen bewusste Unterbrechungen, Auszeiten, zum Nachdenken, Reflektieren und Wahrnehmen, was es außerhalb unserer eigenen Blase und „kleinen Welt“ noch gibt.
Hier ein paar Tipps zum eigenen Weiterdenken
Ruhe- und Mußezeiten planen
Einfach mal Nichts tun – ist keine „vergeudete“ Zeit. Es eröffnet Räume für andere Stimmen und Töne, die sonst im Rausch der „Welt-Töne“ untergehen. Dieses Hören auf die Geräusche um einen herum hilft ungemein beim Sortieren und Nachdenken.
Urlaubszeiten dienen nicht nur der Raum- und Luftveränderung. Sie bieten ebenfalls die Chance, aus dem Gewohnten auszubrechen, Neues zu entdecken – wenn man es denn zulässt.
Prioritäten setzen
Man lernt es in jedem Managementseminar, an die Aufgabe strukturiert heranzugehen, zu priorisieren und Wesentliches hervorzuheben. Und gilt das auch für das eigene Leben, den Jahreslauf? Meist wird das Jahresende dafür genutzt und das kommende Jahr „geplant“ und mit guten Vorsätzen begonnen.
Aber was sind meine Prioritäten? Habe ich welche? Was ist mir wichtig, für mich und mein Leben, meine Kern- und Großfamilie?
Zum Schluss zwei Gedankenanstöße:
Das Eingangsbild zeigt eine sich öffnende Tür. Was erwartet einen dort, wenn die Tür geöffnet ist? Welche Entdeckungen kann ich machen?
Als Teenager habe ich die Dietrich-Bonhoeffer-Biografie von Eberhardt Bethge gelesen. Neben anderem hat mich beeindruckt, dass Bonhoeffer sich immer Zeit genommen hat für die Menschen, die mit einem Anliegen zu ihm kamen. Dabei war es egal, wie groß der persönliche Stress für ihn gerade war, ob es passte oder nicht. Der/Die Andere waren in dem Moment das Wichtigste. Diese Haltung hat mich beeindruckt. Es ist auch eine Form von „Stecker ziehen“.
Welchen Stecker ziehe ich jetzt?